Maerzunruhen 1920 in Datteln Geschichte

Vom Generalstreik zum bewaffneten Aufstand

Zur Geschichte der März-Unruhen 1920 in Datteln

zusammengestellt von Theodor Beckmann, Datteln

unter Zuhilfenahme von Texten von Hermann Bogdal (1984), Oer-Erkenschwick, Michael Dahlmanns (1988), Dinslaken
und Günter Gleising (2010), Bochum

Eine Radtour zu den den Grabstätten der März-Gefallenen - von Datteln aus -  ist   hier   beschrieben  ...
Wenn man den Hauptfriedhof von Datteln besucht, stößt man in der Nähe der alten Leichenhalle, dem heutigen Kolumbarium, auf ein großes Denkmal mit der Inschrift:

Es starben in den Märztagen 1920:
Louis Köhl, geb. 12.1.1888  - ersch. 2.4.1920
Franz Willumeit, geb. 1.8.1887 – ersch. 2.4.1920
Karl Schneider, geb. 25.4.1898 – gef. 1.4.1920
Richard Lieder, geb. 19.5.1899 – gef. 1.4.1920
Karl Bell, geb. 20.6.1899 – gef. 1.4.1920
Gustav Breiing, geb. 4.8.1875 – gef. 1.4.1920
Michael Urmetz, geb. 2. 8.1886 – ersch. 2.4.1920.
Söhne des Volkes wollten sie sein und bleiben.
Die Ereignisse, die zur Errichtung dieses Denkmals geführt haben, sind heute im Bewusstsein der Menschen in Datteln und im gesamten Ruhrgebiet weitgehend verblasst. Es ist ein Andenken an den Bürgerkrieg, der sich während der März- und Apriltage des Jahres 1920 im Ruhrgebiet entwickelte, nachdem in Berlin rechtsgerichtete Kräfte unter Generallandschaftsdirektor Kapp und General Lüttwitz gegen die gewählte Reichsregierung geputscht hatten.

Sieben Namen, sieben Einzelschicksale, sieben Arbeiter aus Dattelner Bergarbeiterfamilien, die ihr Engagement für eine bessere Welt, ihren Einsatz für Freiheit, Demokratie und Arbeiterrechte mit dem Leben bezahlt haben. Drei von ihnen wurden im Lohbusch standrechtlich erschossen, vier fielen im Kampf. Auf dem Höhepunkt dieser Kämpfe standen sich im Revier zehntausende bewaffnete Arbeiter, die in der Roten Ruhrarmee zusammengeschlossen waren, und die Kräfte der Reichswehr und Freikorps gegenüber. Historiker bezeichnen heute diesen Aufstand der Arbeiter als größte Volkserhebung in der deutschen Geschichte seit Ausbruch der Bauernkriege im 16. Jahrhundert.

Dass die Märzereignisse von 1920 in Vergessenheit geraten sind, liegt sicherlich weniger an der zeitlichen Distanz – 100 Jahre – als an dem Leid, wie es Faschismus und Zweiter Weltkrieg mit sich brachten. Die Reichspogromnacht am 9. November 1938 und die sich anschließende Judendeportation, die Verhaftung und Ermordung vieler Oppositioneller, aber auch ein Bombenkrieg, der viele Städte – auch Teile von Datteln - zu Schutt und Asche werden ließ und Tausende Tote forderte, überschatteten alles bis dahin Erinnerbare. So verblassten schließlich die Erfahrungen eines Bürgerkrieges, in dem sich abzeichnete, welches Maß an Hass sich zwischen Deutschen auftürmen kann.

Tage nach den erbitterten Kämpfen mit vielen Gefallenen und Erschossenen schrieb im Frühjahr 1920 Lehrer Schauenburg tief berührt in der Chronik der Bergschule Hünxe: „Wer nicht den fanatischen Haß auf beiden Seiten gesehen, kann diesen unnatürlichen, über alle Maßen grausamen Kampf nicht verstehen . . . Aus diesem Haß geborene Greueltaten riefen rücksichtsloses Vorgehen auf der Gegenseite hervor. Fürwahr, und so steigerten sich die Gegensätze bis zur Bestialität. Kein Mensch hätte derartiges bei unserer Kultur für möglich gehalten. Das alles liegt nun hinter uns wie ein wüster Traum. Möge ein gütiges Geschick unserem Volk eine Wiederholung dieses Wahnsinns ersparen!“ (in: Dahlhmanns 1988)

Der fanatische Hass und das rücksichtslose Vorgehen des in Datteln einmarschierten Freikorps Aulock trugen Abscheu und Empörung auch in die Kreise, die den Einmarsch der Regierungstruppen herbeigewünscht hatten. Im Anschluss an die Geschehnisse bei der Hinrichtung der Mitglieder des Vollzugsrates im Wäldchen am Amtshaus, nach der Verhaftung des Gemeindevorstehers und anderer Arbeiter, fand sich kaum jemand noch bereit, den Freikorpssöldnern Hilfsdienste in der Einwohnerwehr zu leisten. In der Bevölkerung Dattelns herrschte Unruhe. Die Arbeiter diskutierten die Erschießungen, Verhaftungen und Haussuchungen. An allen wichtigen Ortsstellen standen Militärposten, um Menschenansammlungen aufzulösen.

Die Arbeiter Datteln ließen es sich – trotz der Drohung des Standrechts – nicht nehmen, ihren Toten eine würdige Bestattung zu bereiten. Am gleichen Tage veranstaltete das Freikorps ein Konzert auf dem Marktplatz. Die Arbeiter, die nur wenige Tage vorher mitgeholfen hatten, die Freischärler aus dem Industriegebiet hinauszujagen, mussten nun dieses herausfordernde Musikspektakel über sich ergehen lassen. Die Ehrung ihrer toten Kampfgenossen war die einzige Möglichkeit, ihren Protest zu bezeugen. Noch unter der militärischen Pressezensur schreibt der Dattelner Anzeiger am 06.04.1920: „Am Sonntag nachmittag gab die Bataillonsmusik der Jäger, die in Datteln in Quartier lag, auf dem Marktplatz ein Konzert. (...) Kurz darauf sah man ein anderes, trauriges Schauspiel: die im Kampfe Gefallenen wurden zur letzten Ruhe bestattet. Es war ein eindrucksvoller Leichenzug, der uns den ganzen herben Ernst der Zeit, in welcher wir leben, vor Augen führte.“
Die Gräber der Märzgefallenen in Datteln-Ahsen, Olfen-Eversum und Haltern-Hamm-Bossendorf:
Söhne des Volkes wollten sie sein und bleiben. Sie starben für uns, ihr Geist aber lebt.
Gefallen im Kampf für das Volk und die Freiheit. März 1920.
Als Opfer seid Ihr gefallen für Freiheit und Rechte. Hier ruhen 34 im Kapputsch gefallene Arbeiter 1920.

Der Kapp-Lüttwitz-Ludendorf-Putsch
Begonnen hatten diese unruhigen Wochen im März und April 1920 mit dem Kapp-Lüttwitz-Ludendorf-Putsch am 13. März in Berlin. Der Putsch nahm seinen Ausgangspunkt in dem Militärlager auf dem Truppenübungsplatz Döberitz, westlich von Berlin. Ende Februar 1920 hatten die westlichen Siegermächte die Reichsregierung kategorisch aufgefordert, die nach den Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages erforderliche Verminderung der deutschen Heeresstärke auf 100.000 Mann durchzuführen. Die Reichsregierung wollte dieser Aufforderung nachkommen, konnte sich aber nicht gegen die Generalität der Reichswehr durchsetzen. Am 12. März wurden die Truppen in Döberitz, die schon zuvor neu eingekleidet und ausgerüstet worden waren, in Alarmbereitschaft versetzt. In der Frühe des 13. März 1920 marschierte die berüchtigte Marinebrigade Ehrhardt unter den schwarz-weiß-roten Fahnen des Kaiserreiches und mit aufgemalten Hakenkreuzen an den Stahlhelmen in Berlin ein und besetzte um 7:00 Uhr das Regierungsviertel in der Wilhelmstraße.
Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp und Generalleutnant Walther von Lüttwitz
An der Spitze der Putschisten stand Wolfgang Kapp, ein hoher preußischer Beamter – Generallandschaftsdirektor von Ostpreußen, eine beamtete Funktion, die in Westfalen der des Regierungspräsidenten ähnelt – zudem Bankier und konservativer Reichstagsabgeordneter. Kapp war seit 1912 Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Bank. Weiterhin gehörten zum Kreis der Putschisten der Oberbefehlshaber aller Reichswehrtruppen Nord-, Mittel- und Ostdeutschlands, General Walther von Lüttwitz, Traugott von Jagow, der frühere Polizeipräsident von Berlin, sowie General Ludendorf, Oberst Bauer und der Major des Geheimdienstes, Waldemar Pabst. Auch reaktionäre Intellektuelle wie Ignaz Trebitsch-Lincoln und Gottfried Traub sowie weitere nationalistische Politiker unterstützten den Putsch. Industrielle wie Hugo Stinnes aus Mülheim hatten schon zuvor über 2 Mio. Reichsmark an diese Kreise gegeben, um Pläne für geplante Eroberungen von Teilen der Sowjetunion und Polen zu finanzieren.
Schon 1920 mit Hakenkreuz: Kapp-Putsch-Truppen

Nachdem sich General von Seeckt, der Chef des Reichswehr-Truppenamtes – die damalige Tarnbezeichnung für den Generalstab der Reichswehr – geweigert hatte, Soldaten gegen die Putschisten einzusetzen („Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr“), flüchteten Reichspräsident Ebert und die sozialdemokratisch geführte Reichsregierung nach Stuttgart. Die Putschisten erklärten in den Morgenstunden des 13. März die Nationalversammlung für aufgelöst, die Regierung für abgesetzt. Zum Reichskanzler und preußischen Ministerpräsidenten wurde Kapp ausgerufen. Von Jagow wurde Innenminister und Lüttwitz Reichsminister und Oberbefehlshaber der Wehrmacht, Traub Kulturminister und Trebitsch Pressesprecher.

Die beiden Rechtsparteien im Reichstag (DNVP und DVP) sowie zahlreiche bürgerliche Politiker unterstützen den Potsch oder ließen ihre Sympathien erkennen. Dies gilt auch für Zeitungen der Industrie und des Großbürgertums wie die 'Rheinisch-Westfälische Zeitung' (Essen). Die RWZ schreibt am 13. März in ihrer Abendausgabe: „Entschlossene Männer sind in Berlin zur Tat geschritten. (…) Ihr Vorgehen bedeutet Gewalt, aber Gewakt aus redlicher Überzeugung und tiefster Vaterlandsliebe heraus.“ Die Zeitung schreibt von der Regierung Ebert/Bauer als einer 'herrschenden Clique', die es galt, hinwegzufegen.

Der Staatsstreich löste in allen Teilen Deutschlands heftige Reaktionen aus. Denn es war erkennbar, dass er sich gegen die erkämpften demokratischen Rechte, die sozialistischen Errungenschaften und die republikanischen Strukturen richtete und zur weiteren Unterdrückung der Arbeiterbewegung führen sollte. Am 16. März verkündete 'Reichskanzler Kapp' einen Erlass, der Streikende und Rädelsführer mit der Todesstrafe bedrohte.
Der Putsch und das Militär im Westen
Im Industriegebiet waren zahlreiche Truppenteile der Reichswehr und Hundertschaften der preußischen Sicherheitspolizei stationiert. Die Freikorps Lützow und Hacketau in Remscheid und Lennep, das Regiment 61 in Düsseldorf, das Regiment 62 in Wesel, das Freikorps Schulz in Mülheim. Im Schloss Neuhaus lag das 1. Westfälische Husaren-Regiment, die berüchtigten 'Paderborner Husaren'. In Münster das Regiment 13, in Osnabrück/Münster das Freikorps Lichtschlag und in Bielefeld das Freikorps Grabecke. Dazu kamen die paramilitärische preußische Sicherheitspolizei (Sipo) und ihre berüchtigte Technische Hundertschaft in Gelsenkirchen.

In Deutschlands Westen traten mehrere Truppenteile der Reichswehr ganz offen hinter die Putsch-Regierung und machten dies noch am 13. März mit dem Hissen der alten Reichsflagge „Schwarz-Weiß-Rot“ in den Kasernen deutlich. An General von Lüttwitz richtete z.B. das Freikorps Schulz ein Telegramm, in dem es sich „für die neue Regierung erklärte“.

Die am Vormittag des 13. März 1920 stattfindende Besprechung der Kommandeure im Wehrbereichskommando VI in Münster vermied eine öffentliche Erklärung für Kapp/Lüttwitz. Die verlautbarung des Wehrkreiskommandeurs, General Oskar von Watter, „Ruhe und Ordnung im Industriegebiet“ sichertzzstellen, war vor dem Hintergrund des militärischen Staatsstreiches und den zahlreichen Aufrufen, mit de Generalstreik die Republik zu verteidigen, jedoch eine offene Unterstützung für die Kapp-Lüttwitz-Regierung. Unterstützt wurde diese Haltung von einem größeren Teil der örtlichen Oberbürgermeister, Bürgermeister, Gemeindevorsteher, den Regierungspräsidenten, sowie Politikern und Beamten in den Städten und Gemeinden im Industriegebiet. Diese im Gegensatz zu den Bevölkreungsmassen stehende Haltung gab es vor allem in den wichtigsten Städten Dortmund, Essen und Duisburg. Sie wurde dort auch von führenden sozialdemokratischen Funktionären mitgetragen.
Panzerwagen der Reichswehr im Einsatz -
Schwere Artillerie der Reichswehr
Noch am 13. März setzten sich Truppentransporte ins Ruhrgebiet und Bergische Land in Bewegung. Das Freikorps Lichtschlag in Osnabrück hatte auf der Kommandeurstagung von General von Watter den Auftrag erhalten, sofort Truppen in den Raum Dortmund/Hagen zu verlegen. Kommandeure wie Major Schulz vom gleichnamigen Freikorps in Mülheim reisten in ihre Standorte, um ihre Truppen mobil zu machen. Kompanien des Reichswehr-Regimentes 62 bezogen im Raum Lohberg/Hamborn Stellungen.

Die umfangreichen Truppenbewegungen und Zugtransporte ließen für die Arbeitermassen den Putsch konkret werden, da sie genau wussten, diese Truppen gegen sie eingesetzt werden sollten. Die Truppentransporte lösten daher über all große Unruhe aus und die Bahnhöfe, die sie passierten, wurden zu ersten Kristallisationspunkten des Kampfes. Schon am 14./15. März kam es deshalb in Hamborn, Annen, Unna/Kamen und Velbert/Wülfrath zu ersten bewaffneten Zusammenstößen und Kämpfen.
In Dortmund: Arbeiter bilden eine Arbeiterwehr und ziehen in den Kampf gegen die Putschisten.
Generalstreik und bewaffneter Kampf – Reaktion der Arbeiterbewegung auf den Putsch
Sofort nach dem Eintreffen der Nachrichten vom Putsch riefen die Gewerkschaften, SPD und USPD zum Generalstreik in ganz Deutschland auf. Die KPD gab die Losung zur Bildung von Arbeiterräten aus und schloss sich dem Aufruf zum Generalstreik an. Weitere Gewerkschaften, darunter die christlichen, Verbände und Organisationen schlossen sich dem Generakstreik ebenfalls an.

Der Generalstreik, der am Montagmorgen des 15. März mit voller Wucht einsetzte, legte überall in Deutschland die Produktion, die Verwaltungen, den Verkehr lahm. Insgesamt streikten über 12 Millionen Arbeiter und Angestellte. Große Teile der Beamtenschaft verweigte die Unterstützung für die Putschisten. Teile der Post- und Bahnbeamten, vor allem im unteren Bereich, schlossen sich dem Generalstreik an. Mit besonderer Konsequenz wurde der Streik in Berlin, Mitteldeutschland, Mecklenburg und im Rhein-Ruhrgebiet durchgeführt. In vielen Orten des Industriegebietes wurden Volksversammlungen einberufen und Arbeiterräte oder Vollzugsausschüsse gebildet.

Arbeitereinheit siegt über Kapp-Lüttwitz-Putsch
Während Kapp und Lüttwitz in der Reichskanzlei residierten, standen Wirtschaft, Verkehr und Nachrichtenwesen im ganzen Lande still. Mit der bis dahin gewaltigsten Einheitsaktion der deutschen Arbeiterklasse erlebte Deutschland den Höhepunkt der Streikbewegung seiner Geschichte. Im Laufe des 17. März brach deshalb der Putsch zusammen. Kapp floh ins Ausland, Lüttwitz und andere traten zurück.Das überall in großer Einheit und Geschlossenheit kämpfende Proletariat und seine bürgerlichen Bündnispartner hatten einen großen Sieg errungen. Am Generalstreik und dem entschlossenen Widerstand im großen Land war der Versuch gescheitert, eine Militärdiktatur zu errichten.

Aber mit dem bloßen Abzug der Verschwörer aus der Hauptstadt und der Rückkehr von Ebert und der Regierung wollte sich die Arbeiterschaft nicht zufrieden geben. Dies umso mehr, da in einigen Landesteilen und vor allem im Industriegebiet noch bewaffnete Kämpfe im Gange waren. Zudem war mit der Ernennung von General von Seeckt, der gar nichts zur Verteidignun g der Republik und ihrer Organe unternommen hatte, die Konservierung der reaktionären, demokratiefeindlichen Strukturen der Reichswehr eingeleitet worden.

Der Kampf für revolutionäre Veränderungen und eine Arbeiterregierung
Das Ende des Putsches bedeutete zunächst noch nicht das Ende des Generalstreiks. Gewerkschaften, Arbeiterparteien und die Arbeiter- und Vollzugsräte versuchten nun, in Verhandlungen mit der sich wieder im Amt befindlichen Regierung eine neue Ordnung mit sozialistischen Elementen einzuführen. Die Forderungen und auch die Kompromissbereitschaft innerhalb der Arbeiterbewegung waren zum Teil sehr unterschiedlich ausgeprägt. Durchgängig anerkannt aber waren die Forderungen nach einer Neuordnung der sozialen und politischen Verhältnisse, einer Verbesserung der Lebensmittelversorgung, der Sozialisierung von Betrieben und der Umwandlung der Reichswehr in ein Volksheer.
Auch in Datteln formiert sich ein Vollzugsrat
Am 20. März 1920 wurde für die Gemeinde Datteln die Bildung eines Vollzugsrates offiziell bekanntgegeben. Ihm gehörten u.a. die sozialistisch orientierten Arbeiter Louis Köhl, Franz Willumeit, Klemens Rosenbaum, Bick, Aurin, Schaller, Breuer, Rohde, Hassel, Urmetz an. In einem Aufruf wurde die Bevölkerung zur Wahrung der Ruhe aufgefordert, Plünderern die Todesstrafe angedroht. (veröffentlicht im Dattelner Anzeiger vom 20.03.1920)
Der Dattelner Vollzugsrat schritt sofort zur Bildung einer Arbeiterwehr. Ebenso wie in anderen Städten des Ruhrgebiets folgten viele Bergleute dem Ruf und reihten sich in die Arbeiterbataillone ein. Den Arbeiterwehren wurden die Baracken eines ehemaligen Kriegsgefangenenlagers als Kaserne zugewiesen. Der Vollzugsausschuß nahm seinen Sitz im Amtshaus. Auf einer Gemeinderatssitzung am 23. März wurde ein Beschluß über die Bewilligung von Geldern zur Deckung der Kosten für die Verpflegung der Dattelner Arbeiterwehr und für die Einquartierung gefaßt. (Dat. Anz. 24.03.1920)

Ein Bild der politischen Geschlossenheit der arbeitenden Bevölkerung Datteln und ihrer Haltung zum Vollzugsrat vermittelt die Versammlung sämtlicher Angestellter von Emscher-Lippe:
„Als am 13. ds. Mts. der Putsch der Kamarilla bekannt wurde, da erging auch ein Entrüstungssturm durch die Angestellten. In einer großen Versammlung der Angestellten des Kreises Recklinghausen am Sonntag, den 14. ds. Mts., wurde eine geharnischte Resolution verfaßt, der Kappregierung und ihren Dunkelmännern keine Gefolgschaft zu leisten, sondern nur der Demokratischen Regierung Ebert-Bauer. In den letzten 11 Tagen hat sich Vieles geändert, so hat sich herausgestellt, daß die alte Regierung nicht schuldlos dasteht, sondern viel Blut unserer Brüder gleichen Standes auf ihre Schultern geladen hat. Sie muß jetzt ihre Konsequenzen daraus ziehen und anderen einwandfreien Vertretern des Volkes Platz machen, die die Rechte der Angestellten, Arbeiter und Bürger vertreten. Heute ist es uns in die Hand gegeben, der Oeffentlichkeit zu zeigen, daß wir nicht tatenlos beiseite stehen, sondern mithelfen wollen an dem großen Werke, die soziale Stellung der Angestellten und Arbeiter zu heben, und so zu befestigen, daß kein Putsch mehr von dieser Richtung unsere Position erschüttern kann. Um dieses durchführen zu können, müssen wir darauf bestehen, daß die Reichswehr vollständig entwaffnet wird, und an ihre Stelle eine republikanische Volkswehr tritt, die uns die sichere Gewähr bietet, daß wir vor weiteren Erschütterungen bewahrt bleiben. Um dieses nun durchführen zu können, sind im ganzen Industriegebiet Vollzugsräte gebildet worden, und da hier am Orte auch ein Vollzugsrat besteht, ist es auch Pflicht der Angestellten, sich darin zu betätigen, damit Ruhe und Ordnung und ein gutes Verhältnis zwischen den Angestellten, Arbeitern und Bürgern herbeigeführt wird.“
(Dattelner Anzeiger vom 25.03.1920)  Die versammelten Zechenangestellten wählten darauf aus ihrer Mitte den Steiger Aug. Becker als ihren Vertreter im Vollzugsrat.

Derartige Veränderungen wollten die Reichsregierung und die sie tragenden Kräfte auf keinen Fall. Stattdessen forderte die Regierung den Abbruch der Kampfaktionen und die Entwaffnung der Roten Armee. Einen Kompromiss hätten die Bemühungen des ADGB bringen können, mit einem Acht-Punkteprogramm und der Forderung nach Bildung einer Arbeiterregierung die Errungenschften des Kampfes zu sichern. Die bürgerlichen Parteien und die SPD verweigerten, an einer derartigen Lösung mitzuwirken. Nach diesen Verhandlungen wurde am 22. März zum Abbruch des Generalstreiks aufgerufen. „Keine Arbeiterregierung – Mit Ausnahme Noskes bleiben wahrscheinlich alle Mitglieder des Kabinetts im Amte“ so überschrieb die 'Mülheimer Zeitung' am 24. März ihren Bericht aus Berlin und beruft sich dabei auf „gut unterrichtete parlamentarische Kreise“. Zwei Tage später, am 27. März, übernahm eine neue Koalitionsregierung aus SPD, Zentrum und DDP unter dem Kanzler Hermann Müller (SPD) die Geschäfte und setzte die Politik der alten Regierung weitgehend fort.
Die Rote Ruhrarmee: Bewaffnete Arbeiter aus allen Städten de Ruhrgebiets verbünden sich gegen die reaktionären und republikfeindlichen Putschisten und ziehen gegen die mit ihnen sympathisierenden Freikorps- und Reichswehr-Soldaten.
Das Doppelspiel der Regierung gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung
Die Reichswehrführung, die Reichsregierung und eine große Anzahl der bürgerlichen Politiker setzten ungeachtet von Verhandlungen auf eine militärische Lösung. Dies wurde bei Ausführungenvon Carl Severing vor sozialdemokratischenPressevertretern in Bielefeld deutlich, als er ausführte: „Wenn wir gegen die Anarchie vorgehen wollen, müssen wir uns der Reichswehr als Instrument der Politik bedienen.“ Um welche Reichwehr ging es dabei? Um die gleichen Truppen, die gegen die Regierung geputscht oder sich der Verteidigung der Republik verweigert hatten?

Die 'Bielefelder Konferenz'
Mit einer Konferenz am 23./24. März in Bielefeld unter Leitung von Reichskommissar Severing wollten Reichsregierung und preußische Landesregierung und die sie tragendn politischen und wirtschaftlichen Kräfte den Versuch unternehmen, die Aufstandsbewegung im Westen in den Griff zu bekommen. Einen Tag zuvor waren die Regierungsvertreter Giesberts (Reichsregierung) und Braun (Preußische Landesregierung) geheim in Münster, um vom Militärbefehlshaber, General von Watter, dessen Lagebericht und Wünsche entgegen zu nehmen.

Nach Bielefeld eingeladen waren eine ausgesuchte Anzahl von Vertretern einiger Vollzugsausschüsse, von Stadt- und Provinzverwaltungen sowie zahlreiche sozialdemokratische Funktionäre und Pressevertreter. Kamofleiter der Roten Armee waren nicht beteiligt worden. Den kommunalen Vertretern und Entsandten der Vollzugsräte wurden zahlreiche Zugeständnisse und Reformzusagen gemacht, die als Grundlage den Acht-Punkt-Katalog der Gewerkschaften hatten. Dies ging bis zum Versprechen zur „sofortigen Inangrffnahme der Sozialisierung der dazu reifen Wirtschaftszweige. Die Korps Lützow, Lichtschlag und Schulz sollten ebenso aufgelöst werden wie die anderen der Verfassung nicht „treu gebliebenen konterrevolutionären militärischen Formationen“. Vor allem wurde die Zusage gemacht, dass die Reichswehr nicht in das Industriegebiet einmarschieren und keine Verfolgungen der am Kampf Beteiligten erfolgen dürfe.

Die Bewertung der als 'Protokoll' unterzeichneten Ergebnisse war innerhalb der Arbeiterbewegung äußerst unterschiedlich. Der USPD-Politiker Josef Ernst (Hagen) sah darin eine „vollständige Niederlage der Reaktion im Industriegebiet“ und wenn der Inhalt des Protokolls „in die Praxis umgesetzt werde“, eine „dauernde Machtverstärkung der Arbeiterklasse“. Demgegenüber sah der KPD-Funktionär Wilhelm Düwell (Essen) Bielefeld als Verrat an, wo Versprechungen abgegeben wurden, „deren Einlösung niemals ernsthaft beabsichtigt“ waren. Für die Regierung hatte die „Bielefelder Konferenz“ Folgen der „erfreulichen Art“, wie es Reichskommissar Severing ausdrückte. Er sprach davon, dass das „Bielefelder Abkommen in der Roten Armee wie Sprengpulver gewirkt“ habe. Zur politischen und taktischen Einordnung der Bielefelder Konferenz äußerte sich Severing wenige Tage später und machte eine Art von Doppelstrategie deutlich: Schwächung der Roten Armee und Stärkung der „militärischen Machtmittel“, um „scharf zuzugreifen“.


Die Dattelner Reaktion auf das „Bielefelder Abkommen“ vom 24. März 1920
Angesichts der durch das Abkommen von Bielefeld herbeigeführten Situation richteten der Vollzugsausschuß von Datteln und die örtliche USPD einen Aufruf an die Einwohner von Datteln, der sich insbesondere an die Arbeiter wandte. Die in der roten Armee kämpfenden Einwohner Dattelns wurden zur Einstellung des Kampfes aufgefordert:

"Nach Lage der Sache ist ein weiterer Kampf zwecklos und kein vernünftiger Mensch kann die Verantwortung für weiteres Kämpfen übernehmen. Der Kampf muß sofort abgebrochen werden. Das können die Arbeiter umso eher und freudiger, als sie bisher auf der Höhe des Kampfes stehen u. Zusicherungen erhalten haben. Um die Abmachungen durchzusetzen, genügen friedliche Kampfesmittel der Arbeiterorganisationen. Würde die Regierung nicht Wort halten, so hätten die Arbeiter die Macht, durch einen Generalstreik sich ihre Erfolge zu erzwingen. Wir wollen weiter keinen Bruderkrieg. Wer denkt nicht an die vielen Opfern, die auf beiden Seiten noch vorkommen würden, und an den Mangel an Lebensmitteln, der sich durch weiteres Kämpfen noch verschärft und ganz besonders unsere Familien trifft. Durch die vorhandene Leidenschaft, welche die Arbeiter beseelt, wird dieser Aufruf vielen Arbeitern nicht gefallen, aber bedenkt, daß der Zorn ein schlechter Berater des Menschen ist. Wir können keine Verantwortung für den weiteren Kampf übernehmen und sind unseren Familien schuldig, sie auf die Gefahren hinzuweisen, damit sie uns später keine Vorwürfe machen, daß wir sie nicht aufgeklärt hätten.
Die Dattelner Kameraden werden ersucht, sich sofort von der Front zurückzuziehen.
Der Vollzugsrat und die Ortsverwaltung der unabhängigen sozialdemokratischen Partei."
(Dattelner Anzeiger vom 31.03.1920)

Der weiße Schrecken kam auf Datteln zu. Ihn fernzuhalten und blutige Racheakte der aufgehetzten Söldnerscharen zu verhindern, war der entscheidende Grund für den Aufruf, zu dem es nach Lage der Dinge keine Alternative gab.

In den folgenden Tagen schieden deshalb viele Sozialdemokraten, einige Unabhängige und die meisten der restlichen Anhänger der DDP und des Zentrums aus den bewaffneten Formationen aus. Der größte Teil der Roten Armee blieb aber in seinen Stellungen. Dies mit großer Überzeugung, denn in der Arbeiterschaft bestand nach wie vor die begründete Befürchtung eines Einmasrches der Reichswehr ins Industriegebiet.

Nach der 'Bielefelder Konferenz' wurde die Forderung nach der Abgabe der Waffen und der Kapitulation der Roten Armee immer vehementer erhoben. Die Arbeiterräte aber wollten mehr Rechte und Einfluss als zuvor, verlangten Garantien zum Schutze der Republik. Wenn dieser Einmarsch der Reichwehr nicht schon jetzt erfolgte, lag das nicht an den Verhandlungen, sondern ausschließlich an außenpolitischen Rücksichten und Konsequenzen, die sich aus dem Versailler Vertrag ergaben. (Die gut gerüstete Armee stand schon zu diesem Zeitpunkt „Gewehr bei Fuß“. Von Seeckt gab bekannt, dass 37.000 Mann zum Einmarsch bereit stehen.)

Die neue Reichsregierung setzte nun die gleichen Truppen in Bewegung, die am Putsch beteiligt gewesen waren, diesen unterstützt oder sich der Verteidigung der Republik vereigert hatten. Nachdem die bewaffneten Arbeiteraufstände in Mecklenburg und Sachsen von der Reichwehr niedergeschlagen waren, stellte von Seeckt den Marschbefehl für zahlreiche Reichswehreinheiten zum Transport vor die Tore des Industriegebietes aus.

Während dieser Zeit hatten die Reichsregierung und die Reichswehr vollendete Tatsachen geschaffen. Schon am 22. März war mit dem 'Operationsbefehr Nr. 1' die Neuformierung der Reichswehr begonnen worden. Außerdem wurden aus allen Teilen Deutschlands weitere Truppen in den Westen beordert, die die Aufmarschgebiete in Wesel, Borken/Coesfeld, Münster/Buldern und Rheda/Lippstadt bis zum 27. März eingenommen hatten. Was da „in der letzten Märzwoche in Richtung Ruhrgebiet rollte, war die Auslese der gesamten deutschen Freikorpsbewegung, die alles andere als verfassungstreu war und, intakt und kampffähig wie nie zuvor, mit einjähriger Verspätung“ das letzte Kapitel der Revolution von 1918 beenden wollte.

Ein Ultimatum der Regierung und eigenmächtige Zusätze von General von Watter, mit völlig unerfüllbaren Fristen und Mengenangaben zur Waffenabgabe führten schließlich zum zweiten Generalstreik, der aber nicht an den Vorbereitungen der Reichswehr für den Einmarsch ändern konnte.

Einmarsch und Rache der Reichswehr

Obwohl die Reichsregierung den Befehl gegeben hatte, erst am 2. April ins Ruhrgebiet zu marschieren, war der Vormarsch schon längst im Gange. In Wesel war die Division Kabisch am 27. März über die Lippe vorgerückt und hatte sich nach schweren und für die Rote Armee verlustreichen Kämpfen südlich von Hünxe, Buchholtwelmen und Friedrichsfeld festgesetzt. Am Morgen des 28. März, einem Sonntag, waren die Stadt Ahlen und die Zeche Westfalen von bayerischen Soldaten des Freikorps Epp besetzt worden. Auch in Haltern war die Reichswehr am 30. März eingerückt.

Am frühen Morgen des 1. April 1920 begann die Reichswehr in vier Stoßrichtungen von Friedrichsfeld/Hünxe, Dorsten, Haltern und Hamm mit dem Angriff auf das Ruhrgebiet. Eingesetzt wurde dabei modernste Technk wie Artillerie, Panzer und Flugzeuge. Die Arbeiterwehren konnten an vielen Orten der Übermacht nur geringen militärischen Widerstand entgegenbringen, der zudem auch noch mit brutalsten Mitteln gebrochen wurde. Schwere Gefechte gab es in Dinslaken, Bottrop und südlich vor Hamm, insbesondere in Pelkum. Der Vormarsch der Reichswehr ging einher mit willkürlichen Erschießungen, der Einrichtung von Standgerichten und schlimmsten Verbrechen der Reichswehr an besiegten Rotarmisten, Verdächtigen, Zivilisten und völlig Unbeteiligten.
Der Einmarsch des Freikorps Aulock in Datteln am 2. April 1920
Als das Freikorps von Aulock am 2. April (Karfreitag) Datteln besetzte, gab es keinen, der die Einmarschierenden offiziell oder persönlich willkommen hieß. In Datteln war, wie in anderen Orten, die erste Handlung des Freikorps die Verhaftung von Mitgliedern des Vollzugsauschusses und deren „öffentliche“ Erschießung. Die einzige in Datteln erscheinende Tageszeitung (Dattelner Anzeiger), die ihre Sympathie mit den kämpfenden Arbeitern bekundet hatte, durfte über das, was am Ort geschah, nicht berichten. Sie war nicht bereit, Lobeshymnen über das Freikorps zu bringen. So wurde dann in einer im Stadt- und Landkreis Recklinghausen verbreiteten Tageszeitung eine Darstellung der Besetzung verbreitet, mit der man die Verbrechen des Freikorps in Datteln zu verdecken hoffte.

Wie Datteln befreit wurde.
Ein Musterbeispiel dafür, daß verwegenes Draufgängertum und kühner Wgemut in der Reichswehrtruppe und namentlich in seinem Offizierskorps fortleben, war die Einnahme Dattelns durch die Reichswehrtruppen in Stärke von 5 Mann. Den Oberleutnant Aulock, den Führer des gleichnamigen Freikorps, einen Leutnant und einen Trompeter. Mit seinem Begleiter fuhr Oberleutnant Aulock am Abend des Karfreitags im Automobil nach Datteln, das er für ein Nest von 800 Seelen hielt. Bei seiner Ankunft in Datteln mußte er erfahren, daß der Ort 20.000 Einwohner habe, eine ganze Reihe linksradikaler Elemente und sogar zwei Vollzugsausschüsse, die im Auegnblick gerade eine Tagung abhielten. (...) Kurz entschlossen fuhr Oberleutnant Aulock beim Vollzugsausschuß vor, stieg durch das Fenster, donnerte, den Karabiner in der Hand, in die Versammlung hinein: "Hände hoch!" und erklärte den Vollzugsrat, der nicht wußte, wie ihm geschah, für verhaftet. Dann ließ er seinen Trompeter kräftig blasen und den Einwohnern von Datteln verkünden, daß Datteln von Regierungstruppen besetzt sei. (...) 
(Recklinghäuser Zeitung vom 07.04.1920)
So einfach war es jedoch nicht. Dem Bericht ist nicht einmal zu entnehmen, ob der Trompeter von der Zinne des Rathauses oder vom Rathausplatz aus den 20.000 Seelen Dattelns den Sieg bekanntgab. Das, was in diesen Tagen wirklich vor den Gemeindegrenzen von Datteln und nach der Besetzung in Datteln durch das Freikorps Aulock geschah, ist von Hermann Bogdal in den 1980er Jahren recherchiert worden; seine Schilderung der Ereignisse vermittelt ein anderes Bild. Er erzählt von dem fanatischen Hass und rücksichtslosen Vorgehen der Freikorpssoldaten und ihrer Offiziere, von Männern, die noch wenige Tage zuvor mit den Putschisten Kapp und Lüttwitz sympathisert hatten und nun im Namen der nach Berlin zurückgekehrten Reichsregierung Recht und Gesetz verkörperten.

Aus dem Bericht des Dattelner Anzeigers vom 03.04.1920:

„Ein lebhaftes Treiben herrschte in den letzten Tagen in und um Datteln. Trupps von Rotgardisten durchzogen das Dorf, verschanzten sich an der Lippe und in den nördlichen Bauerschaften. Dort entspannen sich denn auch beim Anrücken der Reichswehr lebhafte Kämpfe. Diese bedrohten Datteln von zwei Seiten aus. Die Reichswehr hatte nämlich im ersten schnellen Ansturm von Haltern her die Haardt und die umliegenden Ortschaften besetzt und stand am Freitag nachmittag schon in Erkenschwick. Die lebhaften Kämpfe, die am Donnerstag und Freitag an der Lippe (Rauschenburg und Markfeld) tobten und auf seiten der Roten Armee viele Verluste forderten, wurden dann unter dem Druck von Erkenschwick aus abgebrochen. Am Freitag abend rückten dann die Regierungstruppen in Datteln ein, besetzten das Amtshaus (...)“

Erich Grünheid, ein seit seiner Jugend sozialistisch eingestellter Bergarbeiter aus Datteln, dessen Bruder an den Kämpfen in den Reihen der Roten Armee teilnahm, erinnert sich in seinen Gesprächen mit Hermann Bogdal, daß die Freikorpssoldaten von ihren Stellungen an der Rauschenburg und vor der Lippebrücke mit Revolverkanonen und Sprenggranaten kräftig in die Wohnsiedlungen von Datteln "reingeballert" haben. Eine Frau lag erschossen in seinem Garten. Nachdem die letzten Rotgardisten ihren Widerstand zur Sicherung des Rückmarsches der Arbeitertruppen aufgegeben hatten, suchten die örtlich beheimateten Rotarmisten dem Zugriff durch die weißen Garden zu entgehen. Sein Bruder und weitere Rotarmisten versteckten ihre Waffen und folgten den abmarschierenden Arbeitertruppen. Das Freikorps rückte mit schwer bewaffneten Trupps auf Lastautos in Datteln ein. Ihr Führer Aulock fuhr sofort mit kleiner Begleitung zum Amtshaus. Er verfügte über Listen mit genauen Adressen von Arbeitern, den Mitgliedern des Vollzugsausschusses, der Gemeindevertretung und Angehörigen der Roten Armee.

Im Amtshaus hatten sich zur Ausübung ihrer Amtspflichten der Gemeindevorsteher Franz Krakowczyk, Gemeindevertreter und Mitglieder des Vollzugsrates versammelt. Sie wurden trotz Protest des Gemeindevorstehers und der Vertretung verhaftet. Keiner von ihnen trug eine Waffe, gegenteiliges wurde später zur Rechtfertigung der Hinrichtung behauptet.
In den Abendstunden wurde noch der Arbeiter Rosenbaum vom Vollzugsrat aus seiner Wohnung geholt. Nur wenige Schritte vom Rathaus entfernt, im Amtswald, wurden im Beisein der Anwohner unter Berufung auf das Standrecht und auf Befehl des Freikoprsführers Aulock am 2. April 1920 von Freikorpssoldaten erschossen: Louis Köhl, 32 Jahre, Franz Willumeit, 32 Jahre, Klemens Rosenbaum, 23 Jahre, und ebenfalls am 2. April Michael Urmetz, 34 Jahre, ein Mitglied des Vollzugsausschusses. Zu den von Verhaftung und Erschießung bedrohten Arbeitern gehörte auch der Bruder des Erich Grünheid. Er war Angehöriger der Arbeiterwehr. Als die Freikorpssöldner ihn in seiner Wohnung suchten und nicht fanden, schleppten sie an seiner Stelle den Vater zum Amtshaus mit der Absicht, ihn als Geisel zu erschießen. Erst der Protest der Ehefrau, der Anwohner und eines Kriminalbeamten verhinderten das.

Im Gespräch mit Hermann Bogdal erinnert sich die Tochter des verhafteten Gemeindevorstehers Franz Krakowczyk: „Die sind hier erschossen worden, hier vorne im Amtsbusch. Er (Vater) hatte auch vor dem Baum gestanden, aber nachher haben sie ihn mit anderen nach Münster gebracht. (...) Alle hatten sie aufgeladen (Lastauto), meine Schwester war noch am Fenster, da rief die Mutter, der Vater ist auf dem Wagen, er winkte und da kriegte er noch eins hinter den Nacken gehauen.“ (Bogdal 1984)

Der Dattelner Gemeindevorsteher Franz Krakowczyk (USPD) wurde mit anderen Gefangenen nach Münster transportiert, um dort vor ein außerordentliches Kriegsgericht gestellt zu werden. Er dürfte der sofortigen Erschießung nur dadurch entgangen sein, daß er den Aufruf zur Kampfeinstellung an die Dattelner Arbeiter in der Roten Armee unterzeichnet hatte.
Nach der Besetzung herrschte in Datteln der Ausnahmezustand. Tag und Nacht patroullierten die bewaffneten Soldaten durch die Straßen der Bergarbeiterviertel. Ansammlungen und Diskussionsgruppen auf den Straßen und Plätzen waren verboten. Die Presse stand weiterhin unter der Zensur des Militärs.

Das Militär ordnete für Datteln eine Sitzung der Gemeinde- und Amtsvertreter an. Aus Protest gegen die Besetzung des Amtshauses, gegen die Anwesenheit des Freikorps in Datteln, die Erschießungen und Verhaftungen – so die Verhaftung des Gemeindevorstehers Krakowczyk – weigerten sich die gewählten Vertreter jedoch zu tagen. Die starke Fraktion der USPD, die Vertreter der SPD sowie die Vertreter des evangelischen Wahlvereins blieben der angeordneten Sitzung fern. (Recklinghäuser Zeitung vom 15.04.1920)
Der während der Schreckenstage unterdrückte und zurückgehaltene Zorn kam auf der ersten Sitzung nach der Räumung Dattelns durch das Militär zum Ausbruch. Hier kam es zur offenen Aussprache über die Verbrechen der Freikorpssöldner und zur Anklage gegen den Amtmann Limper wegen Duldung und Untätigkeit gegenüber den Willkürmaßnahmen des Militärs.
Auf der Amtsversammlung erklärte der Amtsvertreter Bille: „daß die Gemüter der Arbeiterschaft sehr bewegt seien, weil Amtmann Limper nicht in der Lage gewesen sei, Karfreitag die Erschießung der 3 Personen (Köhl, Willumeit, Rosenbaum) durch die Reichswehr zu verhindern.“
Amtmann Limper hielt dem entgegen, „daß er einfach machtlos gewesen sei; bei Willumeit habe er gebeten, die Vollstreckung zu verschieben; die Offiziere hätten geantwortet, es würde kein Pardon gegeben. Röhl wäre mit der Waffe angetroffen worden und nach den Vorschriften der Reichswehr zu verurteilen gewesen. Den Fall Rosenbaum habe er erst am darauffolgenden Morgen erfahren.“ Ein anderer Amtsvertreter [Meisterernst]: „Er habe mehrfach mit den Offizieren der Reichswehr, die bei ihm gewohnt haben, gesprochen. Sie hätten geantwortet: Wir müssen ein Exempel statuieren, jede Rücksicht muß fortfallen. Es muß mit aller Energie vorgegangen werden.“ (Dattelner Anzeiger vom 01.05.1920)   Die Gräuel in der Zeit der Unruhen hatten das menschliche Empfinden abgestumpft.

Etwa zur gleichen Zeit unterbreitete Amtmann Limper der Amtsversammlung einen Bericht über die rechtmäßige Tätigkeit des Vollzugsausschusses und die Vorgänge am Tage der Erschießung. Der Bericht war dem Amtmann von einer Deputation der Arbeiter Rohde, Bick, Binkowski, Krahn und zwei anderen Arbeitern überbracht worden. Köhl, Mitglied des Vollzugsrates, und weitere Personen hielten sich am Tage der Besetzung durch das Freikorps in ihrem Arbeitszimmer im Amtshaus auf. Kurz nachdem sie das Arbeitszimmer betreten hatten, fuhr der Freikorpsführer im Auto vor das Rathaus und drang dort ein. Noch am selben Abend wurden Köhl und Willumeit erschossen mit der Begründung, sie hätten Schußwaffen bei sich gehabt. Rosenbaum wurde nachts aus dem Bett geholt und mit der Begründung erschossen, man habe ihn mit der Waffe in der Hand angetroffen. Eine nachträglich zugesagte Vernehmung von Zeugen aus der Nachbarschaft des Rosenbaum, von denen die Behauptung der Reichswehr zurückgewiesen wurde, erfolgte ebensowenig wie eine Zeugenvernehmung der Freikorpssoldaten, die Rosenbaum aus der Wohnung heraus verhaftet hatten. (Dattelner Anzeiger vom 04.05.1920)

Zahlreiche glaubwürdige Zeugen haben damals bestätigt, dass die drei standrechtlich erschossenen Mitglieder des Dattelner Vollzugsrates unbewaffnet waren, als sie von den Freikorpssoldaten verhaftet wurden.

Auch die reaktionäre Justiz beeilte sich, die Arbeiter, die Angehörige der Roten Armee und des Vollzugsrates waren und den Henkern des Freikorps entkommen konnten, ins Gefängnis zu sperren. Wie die Reichswehr wollte auch die Justiz „ein Exempel statuieren“. Vor einem außerordentlichen Kriegsgericht in Münster wurden in den ersten Maitagen 1920 eine Reihe Dattelner Arbeiter zu extrem hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Der Ankläger des Militärgerichtshofes forderte für Hans Rohde, Mitglied des Vollzugsausschusses, 15 Jahre Gefängnis. Das Kriegsgericht verurteilte Rohde zu 10 Jahren Gefängnis. Der Rotarmist Grünheid erhielt drei Jahre Gefängnis, Über die anderen Arbeiter wurden ebenfalls hohe Haftstrafen verhängt. (Recklinghäuser Zeitung vom 08.05.1920); über weitere Verurteilungen berichtete die Recklinghäuser Zeitung am 31.07.1920.

Die Grabstätte der Anfang April 1920 erschossenen und gefallenen Arbeiter auf dem Dattelner Hauptfriedhof ist heute eingezäunt, das Fundament des Denkmals nicht mehr richtig standfest. Die Inschrift auf dem Denkmal wurde 1935 auf Anordnung der Gestapo Recklinghausen von der Gemeinde Datteln zerstört. Jahre nach dem Zusammenbruch der faschistischen Herrschaft ordnete die Stadtverwaltung von Datteln eine Erneuerung der zerstörten Inschriften an.

Nur wenige Schritte vom Dattelner Rathaus entfernt, in dem kleinen Amtswald, an der Stelle, wo der Freikorpsführer die Erschießungen vornehmen ließ, stand einmal – von Strauchwerk überwuchert – ein kleiner Gedenkstein mit der Inschrift: Hier starben 1920 für die Freiheit Louis Köhl, Franz Willumeit, Klemens Rosenbaum. Niemand weiß, wann der Gedenkstein verschwunden und wo er geblieben ist.


Literatur:
Bogdal, Hermann: Rote Fahnen im Vest, Band II, Die Niederschlagung des Kapp-Putsches, Essen (Klartext) 1984

Dahlmanns, Michael: Der Aufstand. Die Märzunruhen 1920 im Raum Dinslaken-Wesel, Dinslaken 1988 (Band 18 der „Dinslakener Beiträge zur Geschcihte und Volkskunde“, herausgegeben vom Verein für Heimatpflege „Land Dinslaken“ e. V.

Gleising, Günter: Kapp-Putsch und März-Revolution 1920, Bochum (RuhrEcho-Verlag) 2010 (Schriftenreihe zur antifaschistischen Geschichte Bochums Heft 10)


Die Radtour zu den Grabstätten der Märzgefallenen 1920 - von Datteln aus - ist   hier   beschrieben ...
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