Viel Idealismus für Salat und Stielmus
DATTELN. Die Solidarische Landwirtschaft Lippeauen startet voller Elan ins zweite Jahr. Aber die Corona-Krise geht nicht spurlos an dem Projekt vorbei.
Von Tamina Forytta, Dattelner Morgenpost, 27. April 2020
Stielmus und Schnittlauch, die neben Salatköpfen und Radieschen in den Erntekisten liegen, haben schon ein paar Blüten bekommen. Aber so ist das in der Solidarischen Landwirtschaft (SoLaWi) Lippeauen: Hier wird verteilt, was Acker, Wetter und Natur gerade hergeben. Außerdem: Die Schnittlauch-Blüten kann man prima essen oder einfach in die Blumenvase stellen - und in den Wettbewerb um äußerlich makelloser Supermarkt-Ware zu treten, ist hier ohnehin nicht das Ziel.
Im zweiten Jahr läuft das Projekt auf dem Hof hinter der Lippe an der Stadtgrenze zwischen Waltrop und Selm-Bork – und es läuft prächtig. 91 Ernteteiler machen derzeit mit: aus Selm, aber auch aus Waltrop, Datteln, Olfen oder Lünen. 82 waren es im vergangenen Premieren-Jahr . Ernteteiler, das sind die Mitglieder der SoLaWi, die jeden Monat einen Geldbetrag zahlen, wovon Saatgut, Geräte, Versicherungen bezahlt werden – und der Lohn fürs Gärtner-Team. Das ist für viele ein wichtiger Grund, sich an der SoLaWi zu beteiligen. Denn sie alle – das Gärtner-Pärchen Laurin, ein studierter Öko-Landwirt, seine Freundin Birte, die Gemüse-Gärtnerin ist, außerdem Öko-Landwirtin Anne Reygers, die die SoLaWi Lippeauen Bork maßgeblich vorangebracht hat, und neuerdings Ulli, der mit in der Hofgemeinschaft an der Waltroper Straße lebt und gelernter Tischler ist – bekommen Tariflohn. Das ist wichtiges Prinzip der SoLaWi. Denn Acker-Arbeit ist harte Arbeit, und das Gemüse soll hier seinen wahren Wert wieder zurückbekommen.
Nervös gespannt waren sie, bevor es Ende 2018 richtig losging mit dem Projekt. Doch das erste Jahr hatte nur wenig Rückschläge parat. Auberginen mögen den Acker der SoLaWi nicht. Stattdessen gab es jede Menge motivierende Momente. „Es gibt bei uns ein paar Rentner, die stehen jeden Freitag um 7 Uhr auf der Matte und sind ganz heiß aufs Ernten“, erzählt Anne Reygers lachend. Das Team „Querbeet“ hat sich außerdem gegründet, das die Planung in die Hand genommen hat – unter anderem der Aktionstage. An diesen Aktionstagen packen alle mit an, bringen ihre Fähigkeiten mit ein in die SoLaWi. Wegen der Corona-Krise sind diese Aktionstage zurzeit zum Bedauern der „SoLaWista“ nicht möglich. „Querbeet“ tagt daher per Videokonferenz. Sonst gehören Aktionstage fest zum Konzept. Die Entstehung, das Wachsen und Gedeihen, auch mal eine Missernte oder andere Schwierigkeiten mitzubekommen – wie etwa, dass unendlich viel in Bewässerung investiert werden musste, im vergangenen, aber auch schon wieder in diesem Jahr. Gemüse eben nicht als fertiges Produkt zu erleben, das im Supermarktregal stets und unbegrenzt zur Verfügung steht – das ist eine Kernidee der SoLaWi.
Hofmitbewohner Ulli packt in den arbeitsreichen Monaten in der SoLaWi Lippeauen mit an. Peter Kauling holt seine Kiste mit Gemüse ab – die erste der Saison. Im Hintergrund Georg Sehrbrock, einer der Initiatoren. ; Radieschen, Salat, Schnittlauch und Stielmus gehörten diesmal zur Ernteteiler-Ration. (Foto: © Tamina Forytta, Dattelner Morgenpost)
Der Gedanke war auch für Peter Kauling, er stammt ursprünglich aus Waltrop, die Motivation, bei der SoLaWi mitzumachen. Sicher, bei Lidl oder Aldi könne man Salat, Radieschen und Co. kostengünstiger bekommen. Aber der Idealismus hinter dem Projekt, der gefalle ihm viel besser als jeder Schnäppchenpreis. Er und seine Frau, Tochter und Schwiegersohn teilen sich die Ernte-Portion, die am vergangenen Samstag erstmals in dieser Saison wieder verteilt wurde. „Ich stehe jetzt öfter mit meiner Frau in der Küche“, berichtet Peter Kauling fröhlich.
Üblicherweise steht auf einer Kreidetafel, wie viel von welchem Gemüse jedem zustehen, und die Ernteteiler holen ihre Ration selbst aus den Regalen und wiegen ab. Zurzeit gibt es Corona-bedingt fertig gepackte Kisten.
Einen Hektar Land bewirtschaftete das Team 2019, zwei sind es in diesem. Davon werden aber „nur“ auf 1,3 Hektar Gemüse angebaut, erzählt Anne Reygers. Auf der übrigen Fläche wachse Kleegras oder sie ist als Blühstreifen angelegt.