Alle schauen auf Datteln

Alle schauen auf Datteln

Die Kohlekommission hatte die Empfehlung abgegeben, einen Weg zu finden, damit das Steinkohlekraftwerk Datteln 4 nicht ans Netz geht. Weil die Bundesregierung diese Empfehlung der Expertenkommission aus Wissenschaft und Wirtschaft, aus Industrie und Umweltverbänden in ihrem Entwurf zum Kohleausstieg frech missachtet, ist bei vielen Menschen der Glauben an die Ehrlichkeit dieser Regierung noch geringer geworden. Dass sie ihren Unmut nun lautstark zu Gehör bringen, kann nicht verwundern - und wird von der Mehrzahl der Berichterstatter verständnisvoll wahrgenommen und kommentiert.

Wir dokumentieren an dieser Stelle die Berichterstattung in der örtlichen Presse:

Datteln 4 – das neue Feindbild
Polizei beendet die Besetzung des Kraftwerkgeländes durch 150 Umweltaktivisten friedlich. Die kündigen weitere Aktionen an.

Von Uwe Wallkötter und Matthias Korfmann, Dattelner Morgenpost, 3. Februar 2020

Das Kohlekraftwerk Datteln 4 ist zum neuen Feindbild der Anti-Kohle-Kämpfer und Klimaschützer geworden – der Kreis Recklinghausen zum bundesweiten Protestziel. Ihrer Ankündigung nach der Entscheidung der Bundesregierung, dass Datteln 4 doch ans Netz gehen soll, ließen Umweltschützer am Sonntagmorgen Taten folgen – obwohl die Polizei bereits in der Nacht mit einem Großaufgebot vor Ort war.
150 Aktivisten haben Datteln 4 besetzt     Foto: © Sebastian Balint, Dattelner Morgenpost

Die Aktion
Um 7,30 Uhr verschafften sich rund 150 Umwelt-Aktivisten Zutritt zu dem abgesperrten Kraftwerksgelände am Dortmund-Ems-Kanal, um für den sofortigen Kohleausstieg zu demonstrieren. Sie brachen dabei ein Tor auf und besetzten unter anderem zwei Kräne, mit denen Kohle auf die Förderbänder geladen wird und hingen dort Banner und Transparente auf. Den ganzen Tag über verlief der Protest friedlich. Nach Gesprächen mit der Polizei verließen am Nachmittag die Demonstranten freiwillig das Gelände. Sie kündigten an: „Wir werden wiederkommen“. Ihre Personalien wurden aufgenommen.

Die Aktivisten
Aufgerufen zu dem Protest hatten die Aktionsbündnisse „Ende Gelände“ und „DeCOALonize Europe“. „Ende Gelände“ macht seit 2015 durch Blockade-Aktionen gegen Kohle auf sich aufmerksam. Zuletzt mobilisierten sie bis zu 6000 Menschen beim Protest im Rheinischen Revier zum Erhalt des Hambacher Forstes. „Wir können es nicht zulassen, dass mit Datteln 4 ein neues Steinkohlekraftwerk ans Netz geht. Wir rasen gerade auf eine Welt vier bis sechs Grad heißer zu. Wir müssen alle Kohlekraftwerke abschalten und kein neues anschalten“, sagt Kathrin Henneberger, Sprecherin von „Ende Gelände“. „Unser Protest heute ist erst der Anfang“, kündigte sie weitere Aktionen in Datteln an. Der Widerstand habe gerade erst begonnen. „DeCOALonize Europe“ kämpft insbesondere gegen die Bedingungen, unter denen die Menschen zum Beispiel in Russland oder Kolumbien Kohle abbauen müssen.

Die Polizei
Bereits am späten Samstagabend waren Einsatzkräfte der Polizei rund um das Kraftwerk in Stellung gegangen. Gegen 1 Uhr begannen die Beamten, Fahrzeuge anzuhalten und Personalien zu kontrollieren. Mit wie vielen Einsatzkräften die Polizei vor Ort war, wollte Sprecherin Ramona Horst nicht verraten. Zu wenig jedenfalls, um die Besetzung verhindern zu können. Das Gelände von Datteln 4 sei einfach zu groß, um es lückenlos überwachen zu können, begründet die Polizei, warum die Demonstranten trotz aller Kontrollen auf das Gelände gelangen konnten. Am frühen Sonntagmorgen wurden drei Aktivisten vorübergehend in Gewahrsam genommen, um weitere Straftaten zu verhindern.

Die Firma
Uniper-Sprecher Leif Erichsen sagte auf Anfrage, dass das Unternehmen weiterhin auf den Dialog mit den Aktivisten setzt. Gleichwohl hat der Kraftwerksbetreiber gegen alle Personen, die sich auf dem Gelände befanden, einen Strafantrag wegen Hausfriedensbruch gestellt. Ob Uniper angesichts der angekündigten weiteren Protestaktionen seine Sicherheitsvorkehrungen für Datteln 4 erhöhen wird, wollte Erichsen nicht bestätigen. Man sei im ständigen Austausch mit der Polizei und werde nach der Aktion die Sicherheitslage analysieren.

Die Reaktionen
NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) kündigte ein hartes Vorgehen der Sicherheitskräfte bei künftigen Protestaktionen an. Wenn Menschen gewaltsam auf ein umzäuntes Kraftwerksgelände stürmen und ein Förderband besetzen, dann sei das „klarer Rechtsbruch“, so der Minister. Kritik gab es auch von der SPD, deren Landeschef Sebastian Hartmann sich für die Inbetriebnahme von Datteln 4 ausprach. Die Grünen-Landesvorsitzende Mona Neubaur rief die Aktivisten zu friedlichem Protest auf.




STANDPUNKT
Aus den Fehlern nichts gelernt
Datteln dürfte zum neuen Protest-Hotspot der Umweltaktivisten werden.

Von Matthias Korfmann, Dattelner Morgenpost, 3. Februar 2020

Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich Geschichte wiederholt, aber das Tempo, in dem in Nordrhein-Westfalen erneut der Protest gegen die Kohle aufflammt, ist rekordverdächtig. Noch ist es nicht ganz gelungen, das Reizthema „Hambacher Forst“ abzuhaken, schon verlagert sich der Protest nach Datteln. Und dort dürfte er – kleiner Blick in die Glaskugel – dieses Jahr ähnlich radikal prägen wie der „Hambi“ das vergangene.
Wieder besetzen Aktivisten Industriestandorte, wieder werden Polizisten in schwierige Einsätze geschickt, wieder werden Parteien das Geschehen ganz in ihrem Sinne deuten (die Besetzer sind entweder böse Kriminelle oder Helden, die unsere Zukunft retten), wieder spaltet eine energiepolitische Entscheidung das Land tief, und wieder werden Teile der Jugend an den Entscheidungen der Älteren verzweifeln.

Politisch desaströs, ökologisch bedenklich

Dabei hatte die Kohlekommission doch die Empfehlung abgegeben, einen Weg zu finden, damit dieses Steinkohlekraftwerk eben nicht ans Netz geht. Wirtschaftlich zu verantworten ist der Kraftwerksbetrieb sicher, ökologisch ist er mindestens bedenklich, politisch könnte er desaströs enden. NRW bleibt leider ein Protest-Hotspot, auf den wieder ganz Deutschland schauen wird.
Wenn sich Geschichte wiederholt, dann liegt das in der Regel daran, dass nichts aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt wurde.


Plakate auch vor den Kraftwerkstoren: Aktivisten von "Ende Gelände" fordern den sofortigen Kohleausstieg.   
Foto: © Sebastian Balint, Dattelner Morgenpost

Ausnahmezustand am Kraftwerk
DATTELN. 150 Klima- und Umweltaktivisten von „Ende Gelände“, „DeCoalonize“ und Fridays-for-Future besetzen am Sonntag Teile des Steinkohlekraftwerks Datteln 4 . Die Aktion verläuft aber friedlich.

Von Sebastian Balint, Dattelner Morgenpost , 3. Februar 2020

Beim Protest der Fridays-for Future-Bewegung vor zwei Wochen hatten 430 Teilnehmer friedlich gegen die Inbetriebnahme des Steinkohlekraftwerks Datteln 4 demonstriert. Schon wenige Tage nach dem Protestzug kamen Gerüchte auf, dass Aktivisten des Anti-Kohle-Bündnisses „Ende Gelände“ planen, ihre Aktivitäten vom Hambacher Forst zum umstrittenen Kraftwerk in Datteln zu verlegen. Am Sonntagmorgen gegen 7.30 Uhr setzten die Aktivisten das Vorhaben in die Tat um und verschafften sich Zutritt zum Gelände. Schon jetzt steht fest: Das war erst der Beginn. Kathrin Henneberger, Sprecherin von „Ende Gelände“, sagte, das sei erst der Auftakt zu protestreichen Monaten gewesen.

Nach Informationen dieser Zeitung hielten sich schon am Samstagabend gegen 22 Uhr erste Aktivisten im weiteren Umfeld des Kraftwerks auf. Dass die Polizei Kenntnis von der anstehenden Aktion hatte, ist sicher. Denn schon am Samstag gegen 23,30 Uhr war zu beobachten, wie mehrere Einsatzwagen auf den Zufahrtswegen zum Kraftwerk Stellung bezogen.
Und auch auf Feldwegen und Nebenstraßen hielten sich bereits zahlreiche Einsatzkräfte auf. Kurz nach Mitternacht wurden die ersten Fahrzeuge gestoppt, die das weitläufige Areal rund um das Kraftwerk durchfahren wollten.
Auch Beamte in Zivil kamen zum Einsatz. Von einem Feldweg östlich des Kraftwerks hatten die Beamten freie Sicht über die Felder bis zum Kraftwerk. Entlang des Kanals hielten sich ebenfalls zivile Einheiten auf. Innerhalb kürzester Zeit waren die Einsatzkräfte vor Ort, sobald sich etwas in der Nähe des Kraftwerkgeländes bewegte.
An der Emscher-Lippe-Straße stoppte eine zivile Streife zwei Männer, die sich im Schein einer Taschenlampe gegenüber den Beamten ausweisen mussten. Diese Kontrolle verlief ohne Probleme. Bei deiner Personenkontrolle auf der Straße Zur Seilscheibe hingegen kam es zu einer kurzen verbalen Auseinandersetzung. Dort wurden eine Frau und ein Mann kontrolliert, die dort zu Fuß unterwegs waren. Der Mann übte lautstark Protest gegen die Überprüfung durch die Beamten, sodass einer der Beamten den Mann vom Einsatzfahrzeug wegstieß.
Auf einem Feldweg, der parallel zur Recklinghäuser Straße verläuft, hielten sich ebenfalls zwei Fahrzeuge der Polizei auf. Weitere Einheiten patrouillierten auf dem Schwarzen Weg und den umliegenden Stichstraßen.

Heiße Phase beginnt um 6,33 Uhr
Gegen 6,30 Uhr wurde dann die heiße Phase des Protestaktion eingeleitet. In einem Gruppen-Chat wurde darum gebeten, in den Autos zu bleiben und die Beleuchtung abzuschalten. In der Zwischenzeit ging der Polizei eine dreiköpfige Gruppe ins Netz. Pressesprecherin Ramona Horst bestätigte auf Nachfrage unserer Redaktion, dass die Personen der Polizei bekannt seien und zur Verhinderung weiterer Straftaten in Gewahrsam genommen wurden. Knapp eine Stunde verging.
Um 7,22 Uhr wurde dann über den Chat zum Start der Protestaktion aufgerufen: „Jetzt gehts los!“ Kurz darauf verschafften sich die Aktivisten trotz aller Sicherheitsmaßnahmen der Polizei durch ein Tor auf der östlichen Seite Zutritt zum Gelände des Kohlekraftwerks. Wenig später erklommen 150 von ihnen zwei „Portalkratzer“ des Kraftwerks Datteln 4. Um 16,40 Uhr endet die Aktion ohne Zwischenfälle – vorerst.


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