Rigas Altstadt Neustadt Vorstadt

Einladende Altstadt, faszinierende Neustadt, beklemmende Vorstadt

Eindrücke meiner Reise nach Riga im Juli 2019 (Teil 2)
von Theodor Beckmann


Die lettische Hauptstadt Riga ist, mit seinen etwa 700.000 Einwohnern, eine lebendige Stadt, jung und quirlig. Die Aktstadt mit seinen engen Kopfsteinpflastergassen und den vielen Café und Restazrants lädt ein zum Bimmeln und Schauen; sie wird umgeben von gepflegten Parkanlagen, die angrenzende Neustadt besticht durch seine zahllosen imposanten Jugendstilgebäude.

Wer als Kreuzfahrtschiff-Tourist für einen Tag nach Riga kommt, lernt all die Sehenswürdigkeiten der Stadt kennen: das Schloss, dem Sitz des Präsidenten, die blumengeschückten Plätze am Rathaus und dem Schwarzhäupterhaus aus der Blütezeit der Hanse im 14. Jh., am Dom, an der Petrikirche, der Zentralmarkt an der Alten und Neuen Gilde, die Promenade am Freiheitsdenkmal aus dem Jahre 1935, die Markthallen oder die russisch-orthodoxe Christi-Geburt-Kathedrale. Den Besucher fesseln die zahlreichen Gebäude, die heute von den verschiedenen Verwaltungsstellen, den politischen Institutionen und den Kultureinrichtungen genutzt werden. Vielleicht verirrt sich der eine oder andere Tagesgast auch in die Orthodoxe Peitav Synagoge aus dem Jahre 1905 oder ins Jüdische Museum, weil diese Gebäude in zentraler Lage gelegen sind. Weil sie so eingeschlossen liegt, mitten im Häusermeer der Altstadt, war es den Nazis 1941 wohl zu riskant, diese Synagoge in Brand zu setzen. So hat sie die Zeit der deutschen Besatzung und den Krieg überstanden.
Lettland im Visier seiner Nachbarn

Wer aber eine Studienreise mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e. V. und dem Kolping-Bildungswerk macht, lernt die Grab- und Gedenkstätten in und um Riga kennen, erfährt Vieles über die Geschichte Lettlands und wird konfrontiert mit den menschlichen Tragödien, die sich in den letzten 100 Jahren in dieser Stadt und ihrer Umgebung abgespielt haben.
Ein Besuch im Okkupationsmuseum informiert über das Bestreben der Letten nach Freiheit und Unabhängigkeit und über die sowjetische und deutsche Besatzungszeit zwischen 1940 und 1991. Seitdem die Unabhängigkeit des Landes am 1991 wiederhergestellt wurde, sieht sich das Land in enge Schulterschluss mit der Europäischen Union (seit 1. Mai 2004), der NATO unter Nutzung des EURO (seit 2014) als verbindende Währung mit West- und Südeuropa. Die Letten glauben so dem als bedrohlich empfundenen großen Nachbarn Russland die Stirn bieten zu können. Lettland ist sich seiner heterogen Zusammensetzung bewußt: 62 % der etwa 2 Millionen Bewohner Lettland sind lettische Letten, 27 % sehen sich als russische Letten, 11 % sind „Nichtbürger“, vor allem ältere Russen, Weißrussen und Ukrainer, die die lettische Sprache nicht erlernt haben. „Nichtbüger“ ist ein Status, den es nur in Lettland gibt, sie gelten nicht als staatenlos. Ihr Anteil an der lettischen Bevölkerung sinkt. Diese ethnische Zusammensetzung führt dazu , dass Parallelgeschaften deshalb im Lande unvermeidbar sind.

Weblink:
https://de.wikipedia.org/wiki/Lettland

Tragisch – traurig – tödlich

Im Zentrum der Reise „Auf den Spuren der deportierten Nachbarn – Erkundungen in und um Riga“ stand der Besuch der Grab- und Gedenkstätten der jüdischen Opfer der Shoa (1941-1944): der Bahnhof Skirotova, das Rigaer Ghetto, die Überreste des Lagers Jungfernhof, die Stätten der Vernichtung in Bikernieki und Rumbala, die Ruinen der ehemaligen Choralsynagoge im Osten der Stadt. An diesen beklemmenden Orten wurden von der deutschen Besatzungsmacht zwischen dem 1. Juli 1941 und Einrücken der Roten Armee im Jahre 1944 mehr als 70.000 lettische Juden sowie 20.000 Juden, die aus dem Deutschen Reich und den besetzten Gebieten nach Lettland deportiert worden waren, ermordet.


Aber auch die Gräuel der Sowjets an lettischen Oppositionellen und das sinnlose Sterben junger deutscher Soldaten in den letzten Kriegstagen des Ersten und Zweiten Weltkrieges wurden auf der Reise thematisiert. Etwa 5600 gefallene Soldaten ruhen auf der 2007 der Öffentlichkeit übergebenen Kriegsgräberstätte Beberbeki. Im KZ Salaspils inhaftierte die deutsche Besatzung zwischen 1941 und September 1944 lettische nichtjüdischer politische Gefangene. Eine monumentale Gedenkstätte aus dem Jahre 1967 beinhaltet einen Ausstellungsraum, mehrere Skulpturen und einen Marmorblock, in welchem ein Metronom an den Herzschlag der Toten erinnert und eingemeißelte Striche die Tage des Leidens zählen. Während der sowjetischen Besatzungszeiten organisierte das KGB die Beschattung und Bespitzelung der Bevölkerung vom „Eck-Haus“ in der Nordstadt. Ein kurzer Stopp galt auch dem Sowjetischen Ehrenmal, das Befreier-Denkmal aus dem Jahre 1985, das an die „Befreiung“ Rigas durch die Rote Armee erinnern sollte. Hier feiert die russische Minderheit jedes Jahr am 9. Mai den Sieg der Sowjetarmee über Hitlers Wehrmacht und das Ende des „Großen Vaterländischen Krieges“.

Weblinks:

Kriegsgräberstätte Riga-Beberbeki:
https://www.volksbund.de/kriegsgraeberstaette/riga-beberbeki.html

Arbeitserziehungslager KZ Salaspils:

https://de.wikipedia.org/wiki/Salaspils_(Lager)


Sowjetische Ehrenmale in Osteuropa – 6/10

https://www.mdr.de/heute-im-osten/sowjetische-ehrenmale-osteuropa-100.html
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