Das Doppelspiel der Regierung gegen die revolutionäre Arbeiterbewegung
Die Reichswehrführung, die Reichsregierung und eine große Anzahl der bürgerlichen Politiker setzten ungeachtet von Verhandlungen auf eine militärische Lösung. Dies wurde bei Ausführungenvon Carl Severing vor sozialdemokratischenPressevertretern in Bielefeld deutlich, als er ausführte: „Wenn wir gegen die Anarchie vorgehen wollen, müssen wir uns der Reichswehr als Instrument der Politik bedienen.“ Um welche Reichwehr ging es dabei? Um die gleichen Truppen, die gegen die Regierung geputscht oder sich der Verteidigung der Republik verweigert hatten?
Die 'Bielefelder Konferenz'
Mit einer Konferenz am 23./24. März in Bielefeld unter Leitung von Reichskommissar Severing wollten Reichsregierung und preußische Landesregierung und die sie tragendn politischen und wirtschaftlichen Kräfte den Versuch unternehmen, die Aufstandsbewegung im Westen in den Griff zu bekommen. Einen Tag zuvor waren die Regierungsvertreter Giesberts (Reichsregierung) und Braun (Preußische Landesregierung) geheim in Münster, um vom Militärbefehlshaber, General von Watter, dessen Lagebericht und Wünsche entgegen zu nehmen.
Nach Bielefeld eingeladen waren eine ausgesuchte Anzahl von Vertretern einiger Vollzugsausschüsse, von Stadt- und Provinzverwaltungen sowie zahlreiche sozialdemokratische Funktionäre und Pressevertreter. Kamofleiter der Roten Armee waren nicht beteiligt worden. Den kommunalen Vertretern und Entsandten der Vollzugsräte wurden zahlreiche Zugeständnisse und Reformzusagen gemacht, die als Grundlage den Acht-Punkt-Katalog der Gewerkschaften hatten. Dies ging bis zum Versprechen zur „sofortigen Inangrffnahme der Sozialisierung der dazu reifen Wirtschaftszweige. Die Korps Lützow, Lichtschlag und Schulz sollten ebenso aufgelöst werden wie die anderen der Verfassung nicht „treu gebliebenen konterrevolutionären militärischen Formationen“. Vor allem wurde die Zusage gemacht, dass die Reichswehr nicht in das Industriegebiet einmarschieren und keine Verfolgungen der am Kampf Beteiligten erfolgen dürfe.
Die Bewertung der als 'Protokoll' unterzeichneten Ergebnisse war innerhalb der Arbeiterbewegung äußerst unterschiedlich. Der USPD-Politiker Josef Ernst (Hagen) sah darin eine „vollständige Niederlage der Reaktion im Industriegebiet“ und wenn der Inhalt des Protokolls „in die Praxis umgesetzt werde“, eine „dauernde Machtverstärkung der Arbeiterklasse“. Demgegenüber sah der KPD-Funktionär Wilhelm Düwell (Essen) Bielefeld als Verrat an, wo Versprechungen abgegeben wurden, „deren Einlösung niemals ernsthaft beabsichtigt“ waren. Für die Regierung hatte die „Bielefelder Konferenz“ Folgen der „erfreulichen Art“, wie es Reichskommissar Severing ausdrückte. Er sprach davon, dass das „Bielefelder Abkommen in der Roten Armee wie Sprengpulver gewirkt“ habe. Zur politischen und taktischen Einordnung der Bielefelder Konferenz äußerte sich Severing wenige Tage später und machte eine Art von Doppelstrategie deutlich: Schwächung der Roten Armee und Stärkung der „militärischen Machtmittel“, um „scharf zuzugreifen“.
Die Dattelner Reaktion auf das „Bielefelder Abkommen“ vom 24. März 1920
Angesichts der durch das Abkommen von Bielefeld herbeigeführten Situation richteten der Vollzugsausschuß von Datteln und die örtliche USPD einen Aufruf an die Einwohner von Datteln, der sich insbesondere an die Arbeiter wandte. Die in der roten Armee kämpfenden Einwohner Dattelns wurden zur Einstellung des Kampfes aufgefordert:
"Nach Lage der Sache ist ein weiterer Kampf zwecklos und kein vernünftiger Mensch kann die Verantwortung für weiteres Kämpfen übernehmen. Der Kampf muß sofort abgebrochen werden. Das können die Arbeiter umso eher und freudiger, als sie bisher auf der Höhe des Kampfes stehen u. Zusicherungen erhalten haben. Um die Abmachungen durchzusetzen, genügen friedliche Kampfesmittel der Arbeiterorganisationen. Würde die Regierung nicht Wort halten, so hätten die Arbeiter die Macht, durch einen Generalstreik sich ihre Erfolge zu erzwingen. Wir wollen weiter keinen Bruderkrieg. Wer denkt nicht an die vielen Opfern, die auf beiden Seiten noch vorkommen würden, und an den Mangel an Lebensmitteln, der sich durch weiteres Kämpfen noch verschärft und ganz besonders unsere Familien trifft. Durch die vorhandene Leidenschaft, welche die Arbeiter beseelt, wird dieser Aufruf vielen Arbeitern nicht gefallen, aber bedenkt, daß der Zorn ein schlechter Berater des Menschen ist. Wir können keine Verantwortung für den weiteren Kampf übernehmen und sind unseren Familien schuldig, sie auf die Gefahren hinzuweisen, damit sie uns später keine Vorwürfe machen, daß wir sie nicht aufgeklärt hätten.
Die Dattelner Kameraden werden ersucht, sich sofort von der Front zurückzuziehen.
Der Vollzugsrat und die Ortsverwaltung der unabhängigen sozialdemokratischen Partei."
(Dattelner Anzeiger vom 31.03.1920)
Der weiße Schrecken kam auf Datteln zu. Ihn fernzuhalten und blutige Racheakte der aufgehetzten Söldnerscharen zu verhindern, war der entscheidende Grund für den Aufruf, zu dem es nach Lage der Dinge keine Alternative gab.
In den folgenden Tagen schieden deshalb viele Sozialdemokraten, einige Unabhängige und die meisten der restlichen Anhänger der DDP und des Zentrums aus den bewaffneten Formationen aus. Der größte Teil der Roten Armee blieb aber in seinen Stellungen. Dies mit großer Überzeugung, denn in der Arbeiterschaft bestand nach wie vor die begründete Befürchtung eines Einmasrches der Reichswehr ins Industriegebiet.
Nach der 'Bielefelder Konferenz' wurde die Forderung nach der Abgabe der Waffen und der Kapitulation der Roten Armee immer vehementer erhoben. Die Arbeiterräte aber wollten mehr Rechte und Einfluss als zuvor, verlangten Garantien zum Schutze der Republik. Wenn dieser Einmarsch der Reichwehr nicht schon jetzt erfolgte, lag das nicht an den Verhandlungen, sondern ausschließlich an außenpolitischen Rücksichten und Konsequenzen, die sich aus dem Versailler Vertrag ergaben. (Die gut gerüstete Armee stand schon zu diesem Zeitpunkt „Gewehr bei Fuß“. Von Seeckt gab bekannt, dass 37.000 Mann zum Einmarsch bereit stehen.)
Die neue Reichsregierung setzte nun die gleichen Truppen in Bewegung, die am Putsch beteiligt gewesen waren, diesen unterstützt oder sich der Verteidigung der Republik vereigert hatten. Nachdem die bewaffneten Arbeiteraufstände in Mecklenburg und Sachsen von der Reichwehr niedergeschlagen waren, stellte von Seeckt den Marschbefehl für zahlreiche Reichswehreinheiten zum Transport vor die Tore des Industriegebietes aus.
Während dieser Zeit hatten die Reichsregierung und die Reichswehr vollendete Tatsachen geschaffen. Schon am 22. März war mit dem 'Operationsbefehr Nr. 1' die Neuformierung der Reichswehr begonnen worden. Außerdem wurden aus allen Teilen Deutschlands weitere Truppen in den Westen beordert, die die Aufmarschgebiete in Wesel, Borken/Coesfeld, Münster/Buldern und Rheda/Lippstadt bis zum 27. März eingenommen hatten. Was da „in der letzten Märzwoche in Richtung Ruhrgebiet rollte, war die Auslese der gesamten deutschen Freikorpsbewegung, die alles andere als verfassungstreu war und, intakt und kampffähig wie nie zuvor, mit einjähriger Verspätung“ das letzte Kapitel der Revolution von 1918 beenden wollte.
Ein Ultimatum der Regierung und eigenmächtige Zusätze von General von Watter, mit völlig unerfüllbaren Fristen und Mengenangaben zur Waffenabgabe führten schließlich zum zweiten Generalstreik, der aber nicht an den Vorbereitungen der Reichswehr für den Einmarsch ändern konnte.